Vollstreckung in Kanada
Wie wir in früheren Artikeln schon beschrieben haben, können Gerichtsverfahren in Kanada oft sehr langwierig, langsam, teuer und frustrierend sein. Ein Sieg kann für den Kläger aber nur ein Teilerfolg sein, da der zweite Teil, nämlich wie man anschließend an die Entschädigung kommt, unter Umständen ein ganz eigener Prozess ist.
Viele Kläger fokussieren sich nur auf das Urteil. Ein Urteil allein bedeutet jedoch nicht, dass die Entschädigung am nächsten Tag auf das Konto des Klägers überwiesen wird. Stattdessen ist es jetzt die Aufgabe des Klägers, sein zugesprochenes Geld beim Angeklagten selber anfordern. In manchen Fällen wird das Urteil dazu führen, dass der Angeklagte motiviert ist, dem Kläger die Entschädigung zu zahlen – und beide einigen sich auf die Konditionen. Es kann aber ganz anders kommen.
Erstens kann es sein, dass einige Angeklagte einfach nicht die finanziellen Mittel besitzen, um die zugesprochene Entschädigung zu zahlen. Besonders in Hinsicht auf teure Prozesskosten in Kanada kann es vorkommen, dass ein Angeklagter sein ganzes Vermögen für die Prozesskosten ausgegeben hat und am Ende nicht mehr in der Lage ist, die Entschädigung zu zahlen. Besonders wenn man bedenkt, dass die Gerichte in Kanada in der Regel einen Teil der Gerichtskosten des Klägers zur Entschädigungssumme addieren, kann das dazu führen, dass die Zahlungsfähigkeit des Angeklagten stark beeinträchtigt wird.
Einige Angeklagte haben einfach von Anfang an keine Vermögenswerte. Solche Personen werden “judgement proof” genannt (unpfändbar). Studenten oder arme Personen ohne Immobilie, Vermögen oder sonstige Anlagen werden in diese Kategorie fallen und sind in der Regel nicht in der Lage, eine Entschädigung zahlen zu können.
In solchen Fällen besteht ein erhöhtes Risiko für einen Angeklagten, dass er durch den Kläger in die Zahlungsunfähigkeit getrieben wird, was für den Kläger ebenfalls negative Konsequenzen hat, da er kaum etwas bekommt und damit die Möglichkeit verliert, zu einem späterem Zeitpunkt die Geltendmachung seiner Entschädigung einzufordern. Ein langer und teurer Prozess macht in diesem Falle am Ende alle Parteien zu Verlierern.
Möglicherweise können einige Schuldner den fälligen Betrag zahlen, leisten aber einfach Widerstand. Wenn man sich einen Angeklagten vorstellt, der einen Vertrag gebrochen hat und sich weigert, für den Schaden aufzukommen, kann man sich vorstellen, dass hier die Fortsetzung entsteht. Für diese Fälle gibt es spezielle Verfahren, die es dem Kläger ermöglichen, den Sheriff zu beauftragen, das Vermögen des Schuldners zu beschlagnahmen, einen Besitztitel über privates oder geschäftliches Eigentum zu erlangen oder direkt an Einnahmen oder ein Bankkonto zu gelangen. Dazu muss der Kläger allerdings erneut vor Gericht gehen (keine Angst, das ist nicht so kompliziert wie das Hauptverfahren zuvor), um die Vollzugsverfügung für den Gerichtsvollzieher, das sogenannte “writ”, zu erhalten.
Oft wird der Kläger aber nicht wissen, was der Angeklagte an Vermögen besitzt oder wo sich dessen Immobilie befindet – ein schwieriges Unterfangen für den Gerichtsvollzieher. In solchen Fällen kann der Schuldner aufgefordert werden, unter Eid eine Befragung über sein Vermögen abzugeben. Diese Informationen kann dann der Kläger dem Gerichtsvollzieher weitergeben. Sollte der Schuldner sich immer noch unkooperativ verhalten, kann der Kläger das Gericht um Unterstützung mit Androhung von Geldstrafen oder Gefängnis bitten.
Wenn dieser Vorgang klingt, als würde es sich lange hinziehen, nun, das tut er wirklich. Er wird höchstwahrscheinlich auch zusätzliche rechtliche und administrative Kosten verschlingen bis die Entschädigung wirklich vollstreckbar ist. Ein Weg, diese Vollstreckung zu vermeiden, ist es, einen Vergleich anzustreben und einen konkreten Zahlungsplan zu vereinbaren. Der Vorteil bei einem solchen Vergleich ist, dass man bessere Chancen hat, an seine Entschädigung zu kommen. Man hat dabei aber die Gewissheit, dass man immer noch die Option besitzt, seine Entschädigung über eine Vollstreckung durchzusetzen, falls sich der Schuldner nicht an die Abmachung hält.
Kanadische Gerichtsprozesse können kompliziert und frustrierend sein, besonders für diejenigen, die nicht mit dem Rechtssystem in Kanada vertraut sind. Indem man sich über die Verfahrensweisen informiert und die Risiken verstehen lernt, wird man die besten Resultate erzielen.
Dieser Kommentar ist allgemeiner Natur und nicht als Rechtsberatung gedacht, da sich die einzelnen Situationen unterscheiden und mit einem für das Gebiet zugelassenem Rechtsanwalt besprochen werden sollten