Zusätzliche Vollmacht in Kanada empfehlenswert
Der Normalcy Bias, „die Ausrichtung auf Normalität“, beschreibt ein psychologisches Phänomen beim Menschen, die Möglichkeit von Unglück und dessen schwere Auswirkungen zu unterschätzen oder schlicht auszublenden. Die dahinter stehende Logik lautet: weil es bislang nicht aufgetreten ist, wird es auch in Zukunft nicht geschehen – und wenn doch, dann würden die Auswirkungen sicher nicht so schwerwiegend sein.
In einigen Fällen scheint diese Logik zu funktionieren. Im beispielsweise landumschlossenen Bayern hat niemand seit Menschengedenken einen Tsunami erlebt, so dass Vorkehrungen zur Verhinderung sinnlos zu sein scheinen. In vielen Fällen dagegen bringt diese Scheuklappenmentalität Menschen dazu, Risiken, die definitiv drohen, herunterzuspielen – auf der Grundlage dessen, dass sie bislang noch nicht vorgekommen sind.
Ein Bereich, in dem diese Tendenz oft vorkommt, hat mit der Planung der eigenen möglichen Geschäftsunfähigkeit zu tun: die Unfähigkeit, Entscheidungen für sein eigenes Leben zu treffen. Die kann schnell gehen: auf Grund von Krankheit, Unfall oder aus anderen unerwarteten Ereignissen, sei es kurz oder langfristig. Die meisten jüngeren Menschen haben niemals einen Moment der Unfähigkeit erlebt und behandeln diese daher als nicht beachtenswertes Risiko. Aber die Wahrheit ist, dass wir früher oder später alle älter werden, Verletzungen erleiden, krank werden. Und wenn dies geschieht, dann wird die Sache komplizierter wann man keinen Plan für den Fall der eigenen Geschäftsunfähigkeit vorbereitet hat.
Die Antwort darauf ist, für diesen Fall eine Vollmacht zu erteilen, in der einer vertrauenswürdigen Person die Verantwortung für deine Finanzen, Immobilien, etc. übertragen wird. Wir haben in der Vergangenheit in anderen Fachartikeln zum kanadischen Recht über die Bedeutung einer Vollmacht geschrieben, aber noch nicht über die Thematik, dass es unterschiedliche Dokumente für Ihr Vermögen in den unterschiedlichen gerichtlichen Zuständigkeitsgebieten Kanadas gibt.
Für Europäer mit Eigentum in Kanada, ist es wichtig zu wissen, dass eine „Vollmacht“, die z.B. nach deutschem Recht erstellt worden ist, in Kanada möglicherweise + nicht anerkannt wird. Jede Provinz in Kanada hat seine eigenen Gesetze, was ein Vollmacht angeht, und diese Gesetzen verlangen oft, dass eine Vollmacht ein bestimmte Form haben oder auf eine bestimmte Weise unterschrieben und bestätigt sein muss. Zum Beispiel verlangt der Substitute Decisions Act in Ontario, dass die Vollmacht vor zwei Zeugen unterschrieben wird, was normalerweise in Deutschland oder Österreich nicht notwendig ist. Demgegenüber ist die europäische „Vollmacht“ flexibler in der Ausführung und verlangt weniger formale Voraussetzungen.
In bestimmten Fällen ist dies kein Thema in Kanada. Manch einer in Kanada mag die deutsche „Vollmacht“ als genügenden Beweis ansehen, dass die geschäftsunfähige Person damit ausreichend Vertrauen in ihren Vertreter demonstriert hatte. Vom Gesetz her ist er dazu aber nicht verpflichtet. Denn solange die Vollmacht nicht den Anforderungen des Substitute Decisions Acts entspricht, muss er sie nicht anerkennen. Größere Institutionen wie Banken oder öffentliche Ämter sind meist noch pedantischer, was die Form und den Inhalt einer Vollmacht angeht.
Der beste Plan, sich auf das Thema der Geschäftsunfähigkeit vorzubereiten, ist anzuerkennen, dass etwas passieren kann, was bisher nicht passiert ist. Tatsächlich ist die Geschäftsunfähigkeit etwas, was ab einem bestimmten Zeitpunkt im Leben immer wahrscheinlicher wird. Wenn es so weit ist, sollten Sie sicher sein, dass jemand, dem Sie vertrauen, die Leitung für Ihre Angelegenheiten übernimmt. Denn wenn es erst soweit ist, ist es bereits zu spät.
Dieser Kommentar ist allgemeiner Natur und nicht als Rechtsberatung gedacht, da sich die einzelnen Situationen unterscheiden und mit einem für das Gebiet zugelassenem Rechtsanwalt besprochen werden sollten