Kanadisches Testament ohne Unterschrift rechtskräftig oder nicht?

Feb 24, 2022

Kanadisches Testament ohne Unterschrift rechtskräftig oder nicht?

Nach dem Tod seines Großvaters flog Louis von Deutschland nach Kanada, um das Haus aufzuräumen. Während er versuchte, die Papiere zu sortieren, die er im alten Sekretär fand, fiel ihm etwas in die Hände, das wie ein Testament aussah – allerdings ohne die Unterschrift seines Großvaters.  Louis nahm an, dass es sich um einen Entwurf handelte und behielt es. Ohne Unterschrift war dieses Dokument vermutlich weder wichtig noch rechtskräftig – oder doch?

Normalerweise muss ein kanadisches Testament vom Testamentsersteller*in und von zwei Zeugen unterzeichnet werden, die gesehen haben, wie das Testament unterzeichnet wurden.  Die Unterschrift eines Notars ist normalerweise nicht erforderlich, außer in einigen Fällen in der Provinz Quebec.  Diese Anforderungen tragen dazu bei, sicherzustellen, dass es sich bei dem Dokument um ein authentisches Testament handelt und dass der/die Testamentsersteller*in die Absichten für das eigene Vermögen nach seinem/ihrem Tod ernsthaft bedacht hat, indem er/sie sie im Testament festhält.

Nicht unterzeichnete Testamente erfüllen diese wichtigen Zwecke nicht.  In vielen kanadischen Provinzen (darunter British Columbia und Manitoba) kann das Gericht jedoch nach eigenem Ermessen anordnen, dass ein nicht unterschriebenes Testament (oder ein Testament, das nicht ordnungsgemäß datiert oder von Zeugen beglaubigt wurde) dieselbe Verteilungsbefugnis hat, die es hätte, wenn es ordnungsgemäß errichtet worden wäre.  Eine ähnliche Regel wird im Laufe dieses Jahres auch in Ontario in Kraft treten.

Der Ermessensspielraum des Gerichts ist in dieser Hinsicht zwar sehr groß, aber nicht unbegrenzt.  Das Gericht muss feststellen, dass das nicht unterzeichnete Testament tatsächlich von der Person verfasst wurde, die es beansprucht, und dass es die Absichten der verstorbenen Person für seinen/ihren Nachlass widerspiegelt.  Normalerweise werden dabei auch andere Erklärungen berücksichtigt, die der Testamentsersteller*in vor seinem/ihrem Tod gegenüber Freunden und Verwandten abgegeben hat, oder Anweisungen, die er seinem/ihrem Anwalt erteilt hat.  Ist das Gericht der Ansicht, dass das nicht unterzeichnete Testament authentisch ist und den letzten Willen des Erblassers richtig wiedergibt, kann es feststellen, dass es wirksam ist, auch wenn es keine Unterschrift, kein Datum und keine Zeugen hat.

Normalerweise berücksichtigen die Gerichte einige Faktoren, z. B. wie lange das nicht unterzeichnete Testament vor dem Tod des Testamentserstellers erstellt wurde und welche Erklärungen er oder sie über seine/ihre Absichten für seinen/ihren Nachlass nach seinem/ihrem Tod abgegeben hat, um zu bestätigen, dass das Testament auch ohne Unterschrift akzeptiert werden sollte.

Wenn Sie also bei der Durchsicht der Papiere eines Verwandten ein nicht unterschriebenes Testament finden, schreddern Sie es nicht gleich – es kann immer noch ein wichtiger Teil des Nachlasses sein.

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